?Nicht bloße Hilfsempfänger, sondern gleichberechtigte Partner sollen die Menschen im Globalen Süden sein. Wie funktioniert das, wenn das Geld doch meist aus der westlichen Welt kommt? Pruin: Indem man sie als gleichberechtig- te Partner ernsthaft und aufrichtig aner- kennt. Viel Geld, auf dem unser Wohlstand beruht, kommt ja aus dem Globalen Sü- den. Ein Blick auf die koloniale Vergangen- heit und das heutige Rennen um Rohstoffe macht das deutlich. Deshalb müssen wir es schaffen, anders miteinander umzugehen. Kooperation, die auf Augenhöhe geschieht und nicht allein auf Ziele einer Seite ein- zahlt, hilft uns allen. Deshalb müssen Partner zwar nicht die alleinige, aber die größte Rolle darin spielen, wie Geld in der Entwicklungszusammenarbeit ver- wendet wird. Zusammenarbeit kann nicht an einseitige Bedingungen geknüpft sein. Andernfalls sind Projekte zum Scheitern verurteilt. Das haben wir, da bin ich mir sicher, bei Brot für die Welt verinnerlicht. ?Was können wir vom Globalen Süden lernen? Pruin: Sehr viel. Vor allem, dass unser ein- geschlagener Weg in den reichen Ländern nicht der Leuchtturm ist, dem benachtei- ligte Länder folgen müssen. Der Globa- le Süden ist ja kein Kontinent oder eine Region, sondern es sind Länder mit ganz unterschiedlichen Entwicklungswegen, in denen enormes Potenzial steckt. Ihre Er- fahrungen befruchten unsere eigene Wahr- nehmung der Welt, deshalb ist der stän- dige Austausch auch so wichtig. Es gibt heute genügend Mittel, um miteinander zu kommunizieren und nicht mehr anein- ander vorbeizureden. ?„Wandel säen“ ist der Titel der ak- tuellen Brot-für-die-Welt-Kampagne. Welchen Wandel meinen Sie damit? Pruin: Unser Schwerpunkt war und ist die Bekämpfung des weltweiten Hungers, die seit Jahren stockt, obwohl weltweit ge- nügend Nahrungsmittel vorhanden sind. Das liegt an einem ungerechten Ernäh- rungs- und Verteilungssystem, aber auch an einer falschen Entwicklung in der Land- wirtschaft. Die industrielle Produktion schadet zusehends der Umwelt und klein- bäuerlichen Strukturen. Was wir erreichen wollen, ist eine Umkehr zu nachhaltiger agroökologischer Landwirtschaft. Umkehr heißt dabei nicht die Rückkehr in alte Zei- ten, sondern der schonende Umgang mit Ressourcen durch nachhaltige Methoden. ?Geht es auch um einen Wandel bei jedem und jeder von uns? Wo sollten wir uns verändern? Pruin: Wir müssen uns selbst hinterfra- gen, welche Folgen – negativ wie positiv – unser Handeln hat. Gerade in Anbetracht der Klimakrise stehen wir alle vor grund- legenden Entscheidungen im Kleinen wie im Großen. Worauf lege ich Wert, wenn ich mich ernähre? Brauche ich das Auto, um von A nach B zu kommen? Alltägliche Fra- gen müssen uns beschäftigen, ohne uns als Gesellschaft zu spalten und uns selbst auf die Anklagebank zu setzen. Wandel gehört zum Menschsein dazu, bei sich selbst und im Umfeld. Wandel bestimmt unser Leben, ob wir es wollen oder nicht. Der Wandel ist keine Gefahr, sondern eine Chance, die wir mitgestalten können. ?In der Weihnachtsgeschichte sind Maria und Josef auf einem beschwer- lichen und ungewissen Weg. Wie sehen Sie den Weg von „Brot für die Welt“? Pruin: Großes entsteht oft aus kleinen Anfängen. Diesen Weg sehe ich bei unse- rem Entwicklungswerk. Dazu fällt mir die Geschichte vom Senfkorn ein, die Jesus erzählte: Obwohl es das kleinste aller Sa- menkörner sei, erwächst daraus ein Baum, der allen Vögel des Himmels Platz biete, um sich darin niederzulassen. Heute ar- beiten wir mit mehr als 1.600 Partnern in BROT FÜR DIE WELT Das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ fördert in fast 90 Ländern in aller Welt Projekte, durch die benachteiligte Menschen ihre Lebenssituation verbes- sern können. Auf christlicher Grundlage setzt sich das Werk für Menschenrechte, Frieden, Demokratie, Bildung, Gesundheit, den Zugang zu Wasser sowie gegen Armut und Hunger ein. Traditionell startet „Brot für die Welt“ seine Spendenaktion am 1. Advent. Kollekten, die in Gottesdiensten gesammelt werden, sowie Spenden sind ein wichtiger Pfeiler der Arbeit. Im vergan- genen Jahr wurden allein in Kurhessen- Waldeck 1,85 Millionen Euro für den guten Zweck gesammelt. www.brot-fuer-die-welt.de THEMA fast 90 Ländern zusammen Das finde ich großartig. ?Lässt im Zuge der Diskussion über Migration nach Deutschland die Hilfs- und Spendenbereitschaft nach? Pruin: Nein. Wir sehen eine kontinuierli- che Unterstützung unserer Arbeit durch Kollekten und Spenden. Unsere Unterstüt- zerinnen und Unterstützer wissen, dass wir weltweit tätig sind und die Arbeit wichtig ist, um einen Beitrag zu besseren Lebens- bedingungen vieler Menschen zu schaffen. Die Debatte um Migration ist derzeit ver- giftet und populistisch eingefärbt. Das er- kennen viele unserer Spenderinnen und Spender und sie unterscheiden. ?Brot für die Welt hat sich große Zie- le gesetzt: „Für eine Zukunft ohne Hunger“. Wie schaffen Sie es, ange- sichts von Katastrophen, Kriegen und Klimawandel nicht die Hoffnung zu verlieren? Pruin: Wir sind als evangelisches Entwick- lungswerk selbst in einer Zeit entstanden, als Deutschland nach dem Zweiten Welt- krieg zerstört war und am Boden lag. Trotz unserer immensen Verantwortung für die- sen Krieg und das Grauen der Shoah ha- ben uns Staaten und Kirchen geholfen, nicht zu verhungern, wieder auf die Bei- ne zu kommen und das Land aufzubauen. Das macht mich dankbar und auch demü- tig. Diese Erfahrung nährt für mich Hoff- nung und Zuversicht, dass sich die Verhält- nisse ändern können. ?Damit ist der große Wunsch für die Welt beschrieben, aber was wäre Ihr ganz persönlicher Weihnachtswunsch? Pruin: Für mich ist Weihnachten das Fest, das uns daran erinnert, dass sich Himmel und Erde berühren können. Und ein ganz persönlicher Weihnachtswunsch ist, dass mein Herz das fassen kann in den Stunden der Heiligen Nacht. An Heiligabend gibt es für mich immer einen sehr besonderen Moment, wenn wir vom Spätgottesdienst zurückkommen, mein Mann, alle Kinder und Nichten und Geschwister gesund im Bett sind und ich mit meiner Mutter noch einen ostfriesischen Kräuterlikör trinke. Ich weiß nicht, wie lange wir solche Momente als Familie noch haben werden und des- halb ist das sehr besonders. ● Fragen: Olaf Dellit blick in die kirche | MAGAZIN | Dezember 2024 19