THEMA Jesus auf dem Bauwagenplatz Wie wäre es, wenn Jesus heute zu uns käme? Und in Deutschland leben würde? Ein Hamburger Autorenteam hat es sich vorgestellt Die U2 rumpelt stadtauswärts über die alten Brücken. Sie spannen sich über Kanäle, so dass man denken könnte, es sei Venedig, wären da nicht die Fabrikhallen, von denen man nicht weiß, ob jemand gestern oder vor zehn Jahren alles stehen- und liegenge- lassen hat. Ich fahre bis hin zur Endstati- on, was normalerweise niemand tut, der alle Sinnen beisammen hat. Es riecht streng in der Bahn, ich glaube, das kommt von dem Mann, der schräg gegenübersitzt. Verstohlen schnüf- fele ich an meiner eigenen Jacke, nur um sicherzugehen. Aber ich bin’s nicht. Außerdem habe ich vor zwei Stunden ge- duscht. Ich fahre nämlich zu einer Party, falls man das so nennen kann. Partys beginnen selten sonntagmorgens um elf. Eat, Pray, Love stand im Internet und bin- nen einer Stunde hatten 300 Leute zuge- sagt. Ich auch. Diesmal will ich dabei sein. Die Party findet auf einem Bauwa- genplatz statt. Bauwagenplätze finde ich prinzipiell cool, weil ich mich über jeden freue, der keine Karriere als Unter- nehmensberater anstrebt, sondern die Gesellschaft ein bisschen bunter macht. Trotzdem wäre das nichts für mich. Ich glaube nämlich, die Leute, die da leben, sind genauso anstrengend wie Leute in einem stinknormalen Mietshaus in einer deutschen Kleinstadt. Nur dass es da keine Kehrwoche gibt, sondern wöchent- liche Diskussionen, wie man korrekt anti ist. Ich glaube, dass es genauso viel sozi- ale Kontrolle gibt, vielleicht sogar mehr, und du nicht ohne weiteres einen Ikea- Einkauf einschieben könntest. „Endstation. Dieser Zug endet hier. Bitte alle aussteigen.“ Die Ansage reißt mich aus meinen Gedanken, ich drücke auf den blinkenden Knopf und dann stehe ich etwas ratlos auf dem Bahnsteig, weil ich nicht weiß, wohin. Bis ich die Kreidebuchstaben zu meinen Füßen entdecke. Eat, pray, love: Hier geht’s lang. Ich folge bunten Pfeilen, überquere eine Kreuzung, komme an Lidl und Netto vorbei und fühle mich wie auf einem Kindergeburtstag, Schnitzeljagd. Dann stehe ich vor einem Bretterzaun. Auf einem Bettlaken steht Seelenfutter: Eat, pray, love. Ich sehe Bauwagen in allen nur erdenklichen Farben. Rot mit gelben Fensterläden, gelb mit türkisen Rädern und einen Wagen, der ist grün- weiß gepunktet. Das Ganze sieht aus wie Legoland in Groß, nur dass hier und da der Lack abgeblättert ist. Ich habe mich schon oft gefragt, warum Menschen ihre Häuser grau streichen. Oder beige. Oder garnichtfarben. Ist graue Farbe billiger »Glücklich, beginnt Jesus, sich von dem Leben lösen zu können, das man geplant hat, damit man das Leben findet, das auf einen wartet.« als bunte? Oder ist das ein Statement: Bitte beachten Sie mich nicht. Ich tue nichts zur Sache. Ich bin ein durchschnitt- licher Bürger und stehe für nichts. Oder haben die Bewohner Angst, man könnte sie in einem gelben Haus für kindisch halten? Aber was wäre dann Schweden? Ein 500 Quadratkilometer großer Kinder- garten? Eine Frau steht vor mir. Ich glaube, sie hat was gesagt. „Hallo, herzlich willkommen!“, setzt sie nochmal an, dann führt sie mich zu einer Wiese, die mit Kissen und Decken übersät ist. Ein riesiger Flickenteppich, auf dem bereits siebzig oder achtzig Leu- te Platz genommen haben. Ich setze mich dazu und fühle mich ein bisschen verlo- ren, weil ich keinen kenne. Da entdecke ich Jesus, aber ich traue mich nicht rüberzugehen, schließlich kann der ja nicht jeden einzeln begrüßen. Immer mehr Leute strömen auf die Wiese. Ich versuche, Jesus nicht aus dem Blick 10 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2019 zu verlieren. Es ist ein bisschen wie verliebt sein, ohne verliebt zu sein. Ich meine, ohne etwas zu wollen, eine Beziehung oder so. Komisches Gefühl. k c o t S e b o d A : o t o F Da geht die Musik los. Sie überfällt mich aus heiterem Himmel. Alle Härchen an mei- nem Körper stehen Kopf. Trommeln, Trompe- ten, Gitarren, Akkordeon, es klingt wie ein rie- siges Balkanorchester. Ein paar Leute fangen an zu singen, andere stimmen ein, es werden immer mehr, sie wiederholen nur eine einzige Zeile, und nach und nach verstehe ich, was sie singen: What if God was one of us, just a slob like one of us, try to make his way home. Immer lauter wird der Gesang, immer schneller die Musik. What if God was one of us, wieder und wieder. Nicht möglich, sich dem zu entzie- hen, lauthals singe ich mit. Ich bin glücklich. Die Musik bricht ab. Die Stille ist ohrenbe- täubend. „Glücklich“, beginnt Jesus, „sich von dem Leben lösen zu können, das man geplant hat, damit man das Leben findet, das auf einen wartet.“ Ich denke gerade nach, ob das stimmt, da ruft einer: „Was heißt das denn schon, Glück?“ Jesus schaut in seine Richtung und antwortet: „Gott nah zu sein. Das ist Glück.“ Ich weiß nicht. Das sagt sich so leicht. „Meistens“, fährt Jesus fort, „stellen wir uns doch vor, dass wir hier sind und Gott ganz weit weg. Es ist aber genau umgekehrt: Gott ist hier und wir sind ganz weit weg. Gott wartet. „Wo?“, ruft eine andere. „In deinem eigenen Herz. Wer zu sich kommt, kommt an Gott nicht vorbei. Und um- gekehrt auch nicht.“ „Das ist doch nur seichtes Gequatsche! Wir müssen die Welt verändern. Es läuft so viel falsch, den massenhaft gequälten Tieren oder einem gefolterten Oppositionellen wird es kaum helfen, wenn du auf dein Herz hörst. Wir müssen handeln, nicht fühlen!“ Jesus grinst ein bisschen. „Hast du je davon gehört“, fragt er, „dass